Mittwoch, 27. August 2014

Objektive Berichterstattung ade - das ZDF und die Samwers

Am gestrigen Dienstag zeigte das ZDF um 21:00 Uhr eine Dokumentation unter dem Titel „ZDF Frontal21-Doku: Die große Samwer-Show – Die Milliardengeschäfte der Zalando-Boys“.


Die Öffentlich-Rechtlichen sind üblicherweise nicht dafür bekannt, versteckte Werbung und Lobhudelei unter dem Vorwand der Dokumentation über den Äther zu bringen. So erwartete ich eine objektive und kritische Betrachtung der Geschäftsgebaren der inzwischen berühmt-berüchtigten Samwer-Brüder. Um es vorweg zu nehmen: die Dokumentation war eine große Enttäuschung. Die komplette Doku kann unter anderem hier (aufgerufen am 27.08.2014) angesehen werden.

Zunächst störten mich von Beginn an die eingeschobenen Animationen, auf die die Macher im Verlaufe der Doku immer wieder zurückgriffen. Diese erinnerten mich in der Aufmachung eher an eine Kindersendung, denn an eine ernstzunehmende Dokumentation. Über Geschmack lässt sich aber bekanntlich streiten und so ist zumindest dieser Kritikpunkt Ansichtssache. Doch auch fachlich hatte die Dokumentation einige Schwächen.

Im Laufe der Sendung wurden die Samwer-Brüder mitsamt ihres umfassenden Firmengeflechtes als Steuervermeider erster Güte dargestellt. Zum Untermauern dieser These wurden Eintragungen in Handelsregister herangezogen. Diese zeigten auf, dass etliche Unternehmen, die von der Rocket Internet AG hochgezogen wurden oder ein Teil dieser sind, ihren Firmensitz im bekanntlich steuergünstigen Luxemburg haben. Hierfür lieferte Oliver Samwer, in einem seiner äußerst seltenen medialen Auftritte, die Begründung, dass die Regularien in Luxemburg den Einstieg amerikanischer Investoren deutlich günstiger (im Sinne von weniger bürokratisch) gestalten. Amerikanische Tochterunternehmen der Rocket Internet AG sind dem ZDF zufolge häufig im steuergünstigen Staat Delaware gemeldet. Hier bequemten sich die Journalisten immerhin zu erwähnen, dass auch andere deutsche Unternehmen gerne diesen Weg wählen. Trotz der Beteuerung von Herrn Samwer ist also wahrscheinlich, dass auch die Rocket Internet AG das europäische und amerikanische Steuerrecht gut zu ihren Gunsten zu nutzen weiß – wohlgemerkt wie viele andere Unternehmen auch.

Die nächste „Enthüllung“ der Dokumentation offenbarte dem Zuschauer, dass Zalando, bekanntester Sprössling der Rocket Internet AG, in den letzten Jahren 35 Millionen Euro an Subventionen einheimste. Nach Darstellung der Dokumentation scheint sich Zalando hier unverschämter Weise aus den Taschen des Steuerzahlers zu bedienen, um „den Bau von Lagern, Lohnkosten und Schulungen von Mitarbeitern“ (O-Ton aus der Dokumentation) zu finanzieren. Dass Politiker und öffentliche Wirtschaftsförderungen gerne mit dem ein oder anderen Schein locken, um große wie kleine Unternehmen zur Standortansiedlung zu locken? Geschenkt. Dass Zalando hier lediglich Mittel in Anspruch nimmt, die jedem Unternehmer bei Erfüllung der geltenden Förderrichtlinien zustehen? Keine Erwähnung. Dass von diesem Recht nicht nur Zalando, sondern auch viele andere kleine wie große Unternehmen Gebrauch machen (man denke nur an Alois Müller)? Egal.

Im Rahmen der Dokumentation wurde Zalando zudem dafür kritisiert, dass Blogger recht eindeutig über Zalando berichten, ohne ihre Beiträge als Werbung zu kennzeichnen. Zalando gebe darüber hinaus Gutscheine an unter anderem eben solche Blogger aus und „bezahle“ diese daher indirekt für ihre nicht gekennzeichnete Werbung. Liebes Doku-Team, willkommen im Web 2.0. Nicht eindeutig als Werbung gekennzeichnete Beiträge im Netz sind ungefähr so neu wie die Erkenntnis, dass nicht überall Bio drin ist, wo „Bio“ drauf steht. Virale Marketingkampagnen und Blogbeiträge sind allgegenwärtige, „normale“ Marketingkanäle, die unzählige Unternehmen nutzen. Das Firmen Produktproben oder ähnliches an bekannte Blogger schicken, ist ebenfalls übliches Marktgeschehen. Die Hoheit über die daraus resultierenden Beiträge liegt aber, unabhängige Blogger vorausgesetzt, im Spektrum des Bloggers selbst. Als Kritikpunkt kann man immerhin noch die gleichzeitige Ausschüttung von Gutscheinen zulassen. Auch hier sei jedoch vermerkt, dass dies nicht eben unüblich ist und damit wohl kaum als Erfindung von Zalando gelten kann.

Die Geschäftsideen der Samwers und ihrer Unternehmensbeteiligung sind häufig, freundlich ausgedrückt, nicht gerade neu. Auch auf diesen Umstand geht die Dokumentation ein. Ideen und Prozesse, die in anderen Ländern oder Märkten bereits funktioniert haben, werden kopiert und nahezu unverändert übernommen. Die Journalisten weisen hier deutlich darauf hin, dass dies vollkommen legal geschieht. Ein wichtiger Punkt, denn solange keine Patent- oder Markenrechte verletzt werden, ist das Kopieren einer Geschäftsidee rechtlich zulässig, wenn auch aus Sicht des ehrbaren Kaufmanns moralisch vielleicht nicht ganz einwandfrei. Dass ohne Ideenklau oder zumindest Ideenanpassung in der Nachkriegszeit wohl kaum drei große Versandhäuser in Deutschland entstanden wären, sollte aber ebenfalls einleuchten. Wie auch zuvor gilt also: ja, die Samwers kopieren – genau wie viele andere auch. Unbestritten ist, dass die Samwers bzw. ihnen nahestehende Unternehmen das Kopieren auf teilweise besonders dreiste Weise betreiben. Dieses Vorgehen hat ihnen einen nicht unbedingt wohlwollenden Ruf in der Branche verschafft. Näheres zum Thema findet sich unter anderem hier (aufgerufen am 27.08.2014).

Bis hierhin wurde schon deutlich, dass die Doku vor allem Punkte aufgriff, die zum einen kein Alleinstellungsmerkmal von Zalando/Rocket Internet darstellen und zum anderen allgemeinhin bekannt sind. Endgültig die Glaubwürdigkeit verliert die Doku allerdings in den Minuten 28 bis 31. Die Darstellung der Doku lässt hier folgenden Schluss zu: Zalando, und so gut wie niemand sonst, ist schuld daran, dass Einzelhändler ihre Läden und Boutiquen schließen müssen. Beleg dafür sind zwei Hamburger Einzelhändler aus dem Grindelviertel, die sich dem übermächtigen Zalando gegenüber sehen. Ladenschließung, familiäre Umarmung, Tränendrüse und dramatische Musik untermauern, wie das Böse in Form von Zalando die Guten unterdrückt. Dass es neben Zalando vielleicht auch noch den ein oder anderen Onlineshop im deutschen Lande gibt, kommt dabei maximal in einem „oder so“ der Interviewten zum Ausdruck. Relativierung von Seiten der Journalisten: Fehlanzeige. Inwiefern die kostenlose Retoure der Wettbewerbsvorteil Zalandos gegenüber den traditionellen Einzelhändlern ist: bleibt unerläutert. Diese Darstellung ist für mich aus zwei Gründen einer Dokumentation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht würdig. Zum einen ist die Fokussierung auf Zalando in diesem Punkt ungerechtfertigt. Klar ist Zalando einer der größten Onlinehändler überhaupt. Doch wenn die Onlinehändler als Sargnagel für den Stationärhandel herhalten sollen, dürfen Otto, Amazon, Ebay und wie sie alle heißen nicht verschwiegen werden. Wenn überhaupt, schließen die Läden aufgrund des Onlinehandels als solchem. Damit sind wir auch schon beim zweiten Grund. Die Läden schließen aufgrund marktwirtschaftlicher Prinzipien. Ich möchte hier gar keine sozialromantische Diskussion führen, auch ich gehe lieber durch ein gut durchmischtes Viertel mit kleinen Lädchen als durch aalglatte Verkaufsalleen, auf denen immer und immer wieder die gleichen Ketten ins Auge springen. Um gegen die, zugegebenermaßen sehr harte Onlinekonkurrenz zu bestehen, muss der Stationärhandel andere Wettbewerbsvorteile ausspielen. Wenn Zalando und andere Onliner die Kunden mit Bequemlichkeit locken können, muss der Stationärhandel mit Service, Einkaufserlebnis und Rundumbetreuung aufwarten. Auch im Hamburger Grindelviertel ist dies möglich. In diesem Sinne ist die gezeigte Schließung nicht an Zalando festzumachen, sondern beruht auf mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, auch gegenüber anderen stationären Händlern.

Auch ich bin kein Fan der Samwers und ihrer Geschäftspraktiken. An einer vernichtenden Kritik mit gerechtfertigten Argumenten hätte ich mich durchaus erfreut. Leider blieben die gerechtfertigten Argumente größtenteils aus. Der Dokumentation fehlte es damit an sehr vielem, was eine gute Dokumentation ausmacht. Es gab nahezu keine Relativierung und die Rocket Internet AG und Zalando wurden nicht objektiv beurteilt. Chancen, die ein solches Unternehmen möglicherweise gar bietet, wurden vollkommen vernachlässigt.

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